Mosambik

Um nach Mosambik einzureisen, müssen wir den Krüger Nationalpark nicht einmal verlassen. Wie praktisch ist das denn. Eine Schotterpiste zweigt von der Hauptstraße ab Richtung Osten und endet an einem einsamen Grenzposten mit strohbedeckten Zoll- und Einreisegebäuden. Wir kriegen unsere Aus- und Einreisestempel in rekordverdächtigen null-komma-nix und betreten ein Land, das in dieser Region durch keinen Zaun von seinem Nachbar getrennt ist. Der Krügerpark jenseits der Grenze und der Gaza-Park hier auf mosambikanischer Seite bilden durch ihren Zusammenschluss seit 2005 einen der größten, länderübergreifenden Wildparks der Welt, den Great Limpopo Transfrontier Park.

Ist doch eine Superidee, dachten sich die Leute, die diesen Plan ausheckten: Durch den Abbau des Grenzzaunes wird eine natürliche ökologische Einheit wieder hergestellt, die Wildtiere können ihre uralten Wanderzyklen wieder aufnehmen, von den Einnahmen durch 100.000enden Touristen, die Krügerpark jährlich besuchen, kriegt Mosambik auch ein Sahnestückchen ab, und außerdem gibt es sowieso viel zu viele Elefanten im Krüger. Ein paar Tausend davon nach Mosambik überzusiedeln erspart das imageschädigende Keulen, also das gezielte Töten von Elefantenherden - dachte man. Nur wurde die Rechnung ohne die starrsinnigen Elefanten gemacht: rund 1000 der 9000 Elefanten auf südafrikanischer Seite sollten in Mosambik ein neues Zuhause finden. Fast alle kehrten wieder zurück in den Krügerpark. Doof!

 

Und die Touristen scheinen es den Elefanten gleichzutun. Vielen begegnen wir nicht im mosambikanischen Teil des Parks. Eigentlich, wenn ich so drüber nachdenke, keinem einzigen. Gleich hinter der Grenze reduziert sich der Verkehr auf null, die Piste wird schmal und holprig. Die Äste ragen weit in den schlaglochübersäten Weg hinein, kratzen an Mathildas Außenhaut und ergänzen die Spuren einer langen Afrikareise durch ein paar neue, markante Schrammen. Und heiß ist es hier. Und schwül. Kann es sein, dass eben noch in Südafrika die Temperaturen wesentlich niedriger waren? Ein paar magere Kühe am Straßenrand haben eigentlich nichts in einem Nationalpark zu suchen. Dann passieren wir das erste Dorf: strohbedeckte Rundhütten ducken sich unter kargen Bäumen, Kinder in zerrissenen Stofflumpen am Leib und mit schmutzigen Gesichtern rennen uns nach, Frauen in bunten Tüchern gehüllt balancieren Feuerholz auf ihren Häuptern, Männer hocken im Schatten und palavern. Momentmal: schlechte Pisten? Staubige Luft? Einfache Hüttendörfer? Bettelnde Kinder …? Das kennen wir doch: Richtig! Wir sind wieder in Afrika! Super! Unser Nervensystem schaltet um auf Abenteuer!

 

Und im selben Moment fühlen wir uns ertappt: Mosambik zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Im Human Development Index 2011 der Vereinten Nationen belegt das Land Platz 184 von 187. Vom Wirtschaftswachstum, das immerhin etwa acht Prozent pro Jahr beträgt, profitieren die Armen kaum: Rund 55 Prozent der Menschen leben in absoluter Armut und verfügen lediglich über einen halben Dollar pro Tag. Knapp 45 Prozent der Mosambikaner sind Analphabeten. Mosambik präsentiert sich idealtypisch afrikanisch: arm nämlich. Dass das Abbild dieser Armut (schlechte Pisten, einfache Hüttendörfer, feuerholztragende Frauen …) sich so sehr deckt mit unserem Idealbild von Afrika, wird uns hier auf beschämende Weise bewusst. Szenen, die wir auf diesem Kontinent lieben und mit denen wir unsere Speicherkarten gerne füllen, sind nach westlichem Verständnis Szenen von Mangel und Bedürftigkeit. Armut wird zur bezaubernden Kulisse. Aber halt mal: Vielleicht ist die Gleichung, nach der sich Glück umgekehrt proportional zu Armut verhält, totaler Quatsch. Vielleicht ist es völlig verkehrt, unsere konsumorientierte Wertewelt auf Afrika zu projizieren. Denn damit gehen wir mal wieder als ewige Besserwisser davon aus, dass nur darin das Heil dieser Welt liegt? Vielleicht sind die Menschen in diesem Hüttendorf am Limpopo tatsächlich glücklicher als die in einer Mietskaserne am Rhein. Vielleicht aber reden wir uns das gerade auch nur ein, um unser schlechtes Gewissen zu beruhigen.

 

Nach 80 Kilometern passieren wir die Parkgrenze. Die schlaglochübersäte Piste geht über in eine schlaglochübersäte Teerstraße. Im ersten nennenswerten Städtchen Chokue ziehen wir aus einer funktionierenden ATM … äh … Dings … äh … Metical … oder wie die Währung hier heißt. Am Markt, der aus einer Ansammlung von kunterbunt ineinander verschlungenen Wellblechhütten besteht, kaufen wir etwas Obst und Gemüse und werden von jungen Marktfrauen herzhaft übers Ohr gehauen. Da lachen sie und haben sich am Abend etwas zu erzählen. Recht so!

 

Wenn es ein Rüstzeug in unserem Fahrzeug gibt, das bisher auf dieser Afrikareise eindeutig zu wenig Einsatz gefunden hat, dann sind es (neben unserer Ersatzreifen und Sabines Aquarell-Malkasten) unsere Badeklamotten. Dem wollen wir abhelfen, und da trifft es sich gut, das Mosambik mit traumhaften Stränden lockt. Schon hier in Chokue meinen wir, den würzigen Duft des Indischen Ozeans zu erhaschen. Mit brennenden Reifen geben wir Gas (nun ja) und düsen der Küste entgegen. Die gefürchteten Polizeikontrollen auf mosambikanischen Straßen, wo unterbezahlte Staatsdiener ihr mageres Gehalt durch die eine oder andere zweifelhafte Bußgeldforderung aufzupeppen versuchen, gibt es sehr wohl. Allerdings werden wir regelmäßig durchgewunken. Das mag daran liegen, dass die Uniformierten uns schnell als Deutsche identifizieren. Das bevorzugte Zielobjekt des mosambikanischen Polizisten ist der weiße Südafrikaner. Und das kann man ihm auch nicht übelnehmen, denn letzterer tritt hier nicht selten auf wie der selbsternannte Herrenmensch.

 

Irgendwie waren wir davon ausgegangen, das Meer zu erreichen, Mathilda unter eine Palme zu parken, eine Robinson-Crusoe-Mine aufzusetzen und dem lieben Gott einen guten Tag sein zu lassen. So leicht macht es uns Mosambik aber nicht. Einst hatte das Land einen legendären Ruf als Urlaubsparadies - damals, als es noch eine Kolonie Portugals war. Die Bilder seiner Strände schmückten Hochglanzreisemagazine. Die Hauptstadt Maputo galt als eine der aufregendsten Städte Afrikas. Südafrikas Weiße liebten sie, weil sie so viel lebendiger, verruchter und sündiger war als die bibelfesten, puritanischen Städte im Apartheitsland der Buren. Doch auf die Unabhängigkeit Mitte der 70er Jahre folgte ein blutiger Bürgerkrieg und der dauerte bis 1992. Noch heute leidet das Land unter seinen Folgen. Auch der Tourismus steckt noch lange im Wiederaufbau. Weite Teile Mosambiks sind mit Landminen verseucht. Im März 2010 erklärte das Nationale Institut für Minenentfernung lediglich 63 von 128 Distrikten Mosambiks für minenfrei. Noch 2009 wurden nach offiziellen Angaben 15 Menschen durch Landminen getötet.

 

Wir klappern die kommenden Tage auf etlichen 100 Kilometern die Küste ab auf der Suche nach unserem Paradies, und landen statt dessen abends in lärmenden Backpacker-Unterkünften, auf als Campingplatz getarnte Baustellen oder in windzerzausten Sandkästen. Es braucht ein Tipp von anderen Reisenden, der uns schließlich ans Ziel führt: „Verlasst das kleine Küstendorf Tofo östlich von Inhambane auf einer sandigen Piste Richtung Norden, vorbei an einer Tauchschule, dann windet sie sich durch Palmenhaine, passiert ein paar Strohhütten, schließlich erreicht ihr Bamboozi. Dort findet Ihr, was Ihr sucht." Danke Gerhard, Renate, Agathe und Michael.

 

Tatsächlich kommt das Fleckchen unserer Vorstellung vom Robinson-Crusoe-Revier in Mosambik recht nahe. Auf sandigem Boden stehen Strohhütten als Unterkünfte, darüber erheben sich mächtige Palmen, die ihr Grün wie Schirme aufspannen. Morgens taucht Rosaria auf mit einem Korb frischer Tropenfrüchte, abends passen wir die Fischer ab und decken uns mit Langusten und Garnelen ein. Dazwischen lange Strandspaziergänge entlang eines rauschenden Ozeans, ausgiebige Lesestunden in der Hängematte, gepflegtes Nichtstun. Zwar steht Mathilda nicht unter einer Palme, wie wir das eigentlich planten, sondern im Schatten eines Baumes, den mein I-Phone-Baum-App als „Japanischen Kuchenbaum“ identifiziert (nein, das App taugt nix!). Doch donnert uns so auch keine Kokussnuss aufs Hirn. Zwar können wir von unserem Plätzchen aus nicht aufs Meer schauen, weil sich dazwischen eine hohe Düne aufbaut. Doch das hat den Vorteil, dass wir vom strengen, auflandigen Wind geschützt sind. Zwar gibt es in der Bar, die oben auf der Düne wie eine kleine, hölzerne Festung thront, kein Castle Light, auf das ich mich gerade so schön eingetrunken habe. Doch das ermuntert mich, die heimischen Biersorten durchzuprobieren.

 

Die Schönheit von Bamboozi offenbart sich uns beim ersten Sonnenuntergang: da sitzen wir auf der Terrasse der Bar und blicken auf die Farbe Blau. Oben Blau, unten Blau. Himmel und Meer wetteifern darum, wem die Farbe besser steht. Als Afrika hinter uns die Sonne verschluckt, hat vor uns der Vollmond seinen Auftritt und buhlt um die Gunst des Publikums. Und das gelingt ihm so vortrefflich, dass wir uns im selben Moment sicher sind: hier haben wir unser Paradies gefunden.