Kapstadt

Kapstadt ist eine Diva, heißt es. Wähnt sich auf Augenhöhe mit Rio und Sydney. Unsere Nachbarin vom Campingplatz neulich wagt sich noch einen Schritt weiter: Kapstadt, sagt sie, sei die schönste Stadt der Welt. Schöner noch als Paris. Und sie meint das ganz im Ernst.

Wir steuern Mathilda über die M3 von Muizenberg aus in die Stadt. Die vierspurige Straße schleicht sich von hinten an den Tafelberg heran, wühlt sich durch adrette Vorstädte, macht einen Bogen um steile Berghänge und gibt unvermittelt den Blick frei hinunter auf ein glitzerndes Häusermeer. Da liegt sie vor uns, die Herzkammer des südafrikanischen Tourismus, ergießt sich ins Meer, räkelt sich in der afrikanischen Sommersonne wie das Fotomodell im Scheinwerferlicht. Dieser kesse Auftritt ist der Stadt vortrefflich gelungen. Wer von der N2 angefahren kommt, wie wir es einige Tage später tun, kriegt erst mal eins auf den Deckel: Hier säumen nämlich links und rechts der Autobahn kilometerweit ärmliche Hüttenkonstruktionen den Weg. Der flüchtige Anblick der hässlichen Seite der Stadt löst nicht annähernd die gleiche Begeisterung aus.

Wir übergeben Mathilda in die Obhut der hiesigen Mercedes-Benz Vertragswerkstatt und mieten uns selber ins Hotel Circa im Stadtzentrum ein. Die Fußgängerzone entlang der Georgstreet, wahrscheinlich die einzige südlich der Sahara, ist nur ein Steinwurf entfernt. Wir bummeln vorbei an Markständen, wo die ewig gleichen afrikanischen Souvenirs angeboten werden: Holzmasken, bunte Stoffe und Gemälde, auf denen schwarze Frauen mit Körben auf dem Kopf wie Karikaturen nebeneinandergereiht sind. Andenkenläden in Nairobi sehen haar genauso aus. Am Green Market Square schlürfen wir Cappuccino und in der Longstreet, wo historische Häuser mit viktorianischen Schnörkeleien verziert sind, stöbern wir durch Secondhand Boutiquen, an deren Wänden Bilder von Che Guevara und Nelson Mandela hängen. Kapstadt präsentiert sich uns jung, schick und kosmopolitisch. Schwarze, Weiße und Farbige zelebrieren Urbanität in trauter Gemeinsamkeit. Keine Anzeichen der bösen, alten Apartheit Zeiten. Es sei denn, man schaut genauer hin: Die Knaufe an den Türen vieler Hotels sind in Kniehöhe befestigt, damit sich die Schwarzen früher beim Öffnen der Türen für die Weißen automatisch verbeugen mussten.

 

Abends wird es still in der Innenstadt. Alle scheinen die Warnungen, mit denen auch unser Reiseführer um sich wirft, ernst zu nehmen, dass man nämlich nach Einbruch der Dunkelheit besser ein Taxi nehme. Vielleicht liegt‘s aber auch einfach daran, dass kein Mensch hier wohnt. Das tun sie nämlich alle in den Vorstädten oder Townships, die Innenstadt ist reines Geschäftszentrum. Der Gott der kulinarischen Genüsse hat uns heute besonders lieb: Neben unserem Hotel gibt’s ein Restaurant, das zu den besten Kapstadts gehört. Die Küche ist Französisch, der Kellner ist es auch und wir ergattern den letzten Tisch des eigentlich über Tage ausgebuchten Ladens. Unsere Gaumen werden liebkost wie schon ganz, ganz lange nicht mehr.

Capetonians lieben den Kommerz, und die Victoria & Alfred Waterfront ist ihr Eldorado. Zwischen Werften, Docks und Lagerhallen hat die Stadt ein Sammelsurium aus Luxushotels, Terrassenrestaurants, Souvenirsupermärkten, Mercedeshändlern, Ausflugsschiffen im Piratenlook, Biergartenimitationen und natürlich Shopping Malls zusammengewürfelt, das tatsächlich wie ein zweites Darling Harbour in Sydney daherkommt – mit dem Unterschied, dass hier der Tafelberg als Sensationskulisse das hemmungslose Treiben stoisch überblickt. Wer in den hiesigen Apartmentblöcken eine 2 Millionen Euro Wohnung ergattert, kann seine Yacht direkt davor parken. Wie praktisch ist das denn? Wir flanieren durch eine Welt, die den Charme einer Glamourkirmes verbreitet. Hier geht’s so afrikanisch zu wie in Disneyworld - und wir merken, dass das gerade auch nicht weiter schlimm ist. Wir machen‘s den anderen Paaren gleich (übrigens: alle sind schwarz oder weiß, keines ist schwarz-weiß) und fädeln uns ins Etepetete ein: wir genießen Sonne, Wasser, Straßenmusiker, Austern, Sauvignon Blanc …, und einander genießen wir auch. Alles ist easy. Alle sind sexy. Wir taumeln durch eine heile Welt; wir wandeln auf dem Laufsteg einer Konsumoase, die nur wenige Kilometer weiter auf der anderen Seite des Tafelberges jäh versandet. Dort liegt Khayelitsha, das größte Township Kapstadts.

Township ist ein Rassistenwort, man sagt jetzt Location. Doch das macht es nicht besser und nicht schlechter. Khayelitsha bleibt Khayelitsha – ein typisches südafrikanisches Armutsviertel mit Minimalinfrastruktur: eingeschossige Ziegelhäuschen, Buden aus den Brettern alter Paletten, Tante-Emma-Läden in ausrangierten Vierzig-Fuß-Containern, weil man die sicher abschließen kann, Dixie-Klos, angezapften Stromleitungen und Straßenlaternen, die tagsüber niemand ausschaltet. Soll man sich das anschauen oder riskiert man damit den Vorwurf des unanständigen Voyeurismus? Man soll, finden wir, allerdings nicht allein. Wir buchen eine Township-Tour.

 

Thandis heißt unser Führer. Er wohnt selber in Khayelitsha, und er verkauft seine Tour nicht ohne Berechtigung als Kulturereignis. Er gewährt uns Einblicke in die Wohn- und Lebenssituation der Menschen, führt uns in ärmliche Häuser, in eine schäbige Bar, in eine Vorschule, sogar in ein Hotel. Natürlich sind wir bestürzt von den Zuständen in Khayelitsha, aber wir sehen diese kapstädtische Gegenwelt aus unserer wohlstandsverzerrten Perspektive. Erst allmählich schnallen wir’s, und Thandis hilft uns dabei auf die Sprünge: Ein Township ist kein Flüchtlingslager, kein Elendsabgrund, sondern Urbanität, wenn auch in ihrer primitivsten Form. Es ist die Heimat von mindestens jedem zweiten Kapstädter; von Menschen, die ihre Vorgärten mit Autoreifen einzäunen, die ihre Zimmerwände farbig streichen und die auf Fenstersimsen Topfpflanzen stehen haben. Ein Township ist ein Ort, wo neben aller Hoffnungslosigkeit auch Würde Platz findet.

Man kann sich zu Fuß auf den Tafelberg mühen, man kann es aber auch sein lassen. Am Fuß des topografischen Wächters Kapstadts reihen wir uns in eine gut 100 Meter lange Warteschlange ein, um mit der Seilbahn den Gipfel zu erklimmen. Oben auf dem Berg blicken wir wie Adler über die Stadt, über den Hafen, den Atlantik, über weiße Villen und weite Strände. Wie wahrscheinlich an jedem Abend haben sich viele hundert Einheimische und Touristen versammelt, um den Tag angemessen zu Bett zu bringen. Pärchen, Familien und Cliquen lagern auf Erdhügel und Felsen, es gibt Wein, Bier, Sekt und Imbisse aus Plastikdosen. Auf der einen Seite des Berges verschwindet die Sonne spektakulär hinterm Horizont, auf der anderen zündet Kapstadt seine Lichter an. Es wird geküsst, fotografiert, gegessen, telefoniert und in die Ferne geguckt. Schwarze und weiße Familien, indische und mohammedanische Klans, russische Einwanderer, brasilianische Sprachschüler und deutsche Touristen treffen sich zum klassen- und nationenübergreifenden Stelldichein. Selbst die chinesische Reisegruppe, die auf Wege rotzt und jeden Strauch digitalisiert, nervt nur ein bisschen. An diesem warmen Januarabend formiert sich endlich die „Rainbow Nation“ , die Südafrika so gerne sein möchte, und wir sind Teil davon. Sitzen auf einer Mauer und sinnieren darüber, welchen Platz Kapstadt denn nun in unserer Best-of-Liste einnimmt: Paris hat die schöneren Cafés – so viel ist sicher; und Sydney die tolleren Strände. San Francisco hat die beschwingtere Multi-Kulti-Szene, München die bessere Sprache und Rio die heißeren Ärsche. Aber in der Summe weiß die Diva Kapstadt zu verführen. Und sie wartet aus deutscher Sicht mit einem unschlagbaren Extravorteil auf: Fliegt man im Winter in Frankfurt ab, kommt man im Sommer hier an und leidet trotzdem unter keinem Jetlag. Wir fühlen uns seltsam zuhause hier – und doch auch wieder nicht. „Es ist so, als höre der Schwarze Kontinent am Tafelberg jäh auf,“ so hat es Jakob Strobel y Serra formuliert, „als liege zu seinen Füßen eine Stadt jenseits von Afrika, ein Ort bar jeder Geographie, ein Ort vollkommener Unbestimmtheit, elegant, europäisch, extrovertiert, exterritorial, ein bisschen kokett und kapriziös, ein Heimathafen für die Heimatlosen, früher wie heute, ein Nest für die Vertriebenen des Abendlandes, die vor dem Winter flüchten oder vor Steuerbehörden.“

 

Genug sinniert. Gehen wir was essen!