Namibia

Botswana lassen wir jetzt mal aus in diesem Blog, denn wir werden zu einem späteren Zeitpunkt wieder im Land sein und dann ausführlich darüber schreiben. Erzählen wir also gleich über Namibia: Hier ist alles anders. Das beginnt schon an der Grenze: zum ersten Mal seit der Türkei legen wir für Mathilda kein Carnet de Passage vor. Namibia, Botswana und Südafrika bilden eine Zollunion. Einmal abgestempelt bei der Einreise nach Botswana, und keiner fragt mehr danach. Wie einfach ist das denn? Die Prozedur an der Grenze verläuft ebenso korrekt wie teilnahmslos, wie routiniert, wie schlecht gelaunt. „Namibia – Land of Smile“ lesen wir auf einem Plakat im Büro der Immigration. Irgendwie haben die finster dreinschauenden Grenzbeamtinnen hier diesen Slogan nicht ernsthaft verinnerlicht.

Hinter der Grenze erreichen wir bald ein Rest Camp, wie die Campingplätze hier genannt werden, das wir dankbar ansteuern. Es ist später Nachmittag, es ist schwül-heiß, wir sind müde und freuen uns auf eine kalte Dusche. Wir parken Mathilda auf einen akkurat gepflasterten Hof, durchqueren irritiert ein gepflegtes Vorgärtchen, in dem drollige Gartenzwerge aneinandergereiht sind, betreten eine peinlich aufgeräumte Rezeption mit Gardinen vor den Fenstern und werden mit Nichtbeachtung von einem Menschen empfangen, der noch nicht wirklich im 21. Jahrhundert angekommen ist. Schnittige Vo-ku-hi-la-Frisur (vorne kurz, hinten lang), Schnauzbärtchen wie zu Völlers besten Zeiten, Schlaghose, weiße Haut, Bure. Wir pressen ein „good afternoon“ aus seinen blassen Lippen hervor, er notiert unsere Personalien in ein altes Registrierbuch, weißt uns Stellplatz 9 zu, und …: er drückt uns eine Plastiktischdecke und eine Plastikschüssel in die Hand. Wozu das denn gut sei, fragen wir. Sein Blick erstarrt, sein Ausdruck verrät Verwirrung und Unverständnis, als hätten wir gefragt, wieso er nicht schon längst seinen Friseur verklagt hat. Die Decke ist für den campingplatzeigenen Campingtisch auf Stellplatz 9 und die Schüssel ist zum Geschirrspülen.

Bis zum ersten Weltkrieg war Namibia deutsche Kolonie. Dann wurde das Gebiet dem Völkerbund unterstellt und Südafrika zur Verwaltung überlassen. Die neuen Besatzer installierten ihr Apartheitsregime, erst 1990 erlangte das Land seine Unabhängigkeit. Und es hat, so scheint es, noch nicht seinen Platz in Afrika gefunden. Das geht schon mit der Sprache los: offizielle Amtssprachen ist Englisch. Meist hören wir auf den Straßen allerdings Afrikaans, die Sprache der Buren, von Weißen und Schwarzen gleichermaßen gesprochen. Untereinander sprechen die Mehrheit der Schwarzen Oshivambo und schließlich treffen wir auch noch erstaunlich viele Leute, die uns in akzent- und fehlerfreiem Deutsch begrüßen - mit viel Stolz auch von älteren Schwarzen. Überhaupt: fast hundert Jahre liegt die Deutsche Besatzungszeit zurück und sie dauerte kaum 30 Jahre, doch der deutsche Einfluss ist all überall gegenwärtig. Bei unserem ersten Besuch in einem Supermarkt im Städtchen Gobabis nicht weit von der Grenze trällern deutsche Schlager durch die Supermarktlautsprecher, wie sie in der Heimat glaube ich verboten sind. Das Land wirkt wohlhabend und aufgeräumt wie keines, seit wir die Schweiz hinter uns gelassen haben. Doch der relative Wohlstand ist ungleich verteilt. Die weiße Bevölkerung fährt in Namibia brandneue VW Amrok, die Schwarzen quetschen sich zu siebt in einen Golf I.

 

Der Anteil der Weißen wird im Reiseführer mit 6 % angegeben. Gefühlsmäßig würden wir mindestens das dreifache schätzen. Das hat u.a. zwei Dinge zur Folge: erstens fallen wir nirgendwo auf. Das finden wir toll. Wir gehen unter in der Masse, könnten als heimischer Farmer durchgehen oder als Hochschulprofessorin für angewandte Kunst in Windhoek. Das haben wir so auch seit der Schweiz nicht mehr erlebten (nicht, dass ich dort als Bauer durchgehen würde …). Zweitens geht es hier so muffig zu wie in der Schreibwarenabteilung beim Kaufhof – und zwar bei Schwarz und Weiß gleichermaßen. Von afrikanischer Lebensfreude keine Spur. Das finden wir traurig. Vielleicht ist auch das eine Folge des deutschen Einflusses im Land. Vielleicht liegt’s aber auch daran, dass der Großteil der Weißen Buren sind, und die erleben wir deutscher als jedes Mitglied des Taubenzuchtvereins in Recklinghausen. Ich gebe mir wirklich Mühe, mich von Vorurteilen jedweder Form zu befreien, doch ich nehme diese Menschen nicht selten als spröde wahr, als erzkonservativ und bisweilen als ein klitzeklein wenig rassistisch. Wenn ich den einen oder anderen im Umgang mit Schwarzen beobachte, möchte ich ihm (oder ihr!) manchmal zurufen: „Hey, Sie da! Schon gehört? Die Zeiten der Apartheit sind vorbei!!!“ .

 

Doch auch Schwarze begegnen uns hier häufig unfreundlich bis abweisend – und das wegen unserer Hautfarbe, so scheint es. Die Kassiererin an der Supermarktkasse kommt erst gar nicht auf die Idee, uns zu begrüßen oder gar ein „How are you“ durch ihre Lippen zu pressen. Na gut, damit können wir leben. Kommen ja schließlich aus Deutschland. Aber diese Frau hier würdigt uns während des gesamten Vorgangs nicht eines einzigen Blickes. Statt dessen wendet sie sich fast demonstrativ dem nächsten schwarzen Kunden zu und plaudert mit ihm, während sie unsere Ware scannt. Und derweil trällern deutsche Volkslieder aus den Lautsprechern über uns. Sind wir nun paranoid oder ist dieses Verhalten tatsächlich rassistisch motiviert? Rüde ist es in jedem Fall!

In Windhoek, der Hauptstadt Namibias, machen wir zwei Nächte Zwischenstopp. Das hat die Stadt nicht unbedingt verdient, denn sie ist nicht gerade eine Perle urbaner Lebensform. Aber sie ist überschaubar, blitzsauber, bietet exzellente Einkaufsmöglichkeiten und eine leicht zu findende Mercedes-Benz Werkstatt. Mathilda kriegt dort mal wieder so richtig ihr Fett (und Öl) ab, und wir stöbern in Buch- und Campingläden, schlürfen Illy-Espresso und abends ein fantastisches Windhoek Lager. Wir kommen mit Laurence ins Gespräch, ein Mechaniker bei Mercedes. 54 Jahre ist er, schwarz, hat zwei erwachsene Kinder und gilt mit sicherem Job und guter Bezahlung in Namibia als privilegiert (die Arbeitslosenquote des Landes wird mit 30% angegeben). Wie denn nach 20 Jahren Unabhängigkeit das Zusammenleben zwischen Schwarz und Weiß so funktioniere, fragen wir ihn, und er antwortet mit auswendig gelernten Worthülsen: sehr gut, sehr friedlich, alle sind Namibier, alle sind glückliche. Wir bohren nach. Wie oft geht er denn mit seinen weißen Kollegen abends nach Feierabend ein Bier trinke. Eigentlich nie, sagt er. Er habe in seiner Freizeit anderes zu tun. Außerdem blieben die Weißen lieber unter sich. Ob er denn einen einzigen weißen Freund habe. Nein, antwortet er. Oder doch: vor Jahren kannte er mal einen Engländer, der ihn manchmal zu sich nach Hause eingeladen hatte. Damit war er wohl ein Freund. Namibia ist eine Klassen- ebenso wie eine Rassengesellschaft, haben wir den Eindruck.

Eines ist Namibia ganz sicherlich: ein Wüstenstaat. Wir fahren über karge, staubige, menschenleere Weite Richtung Westen. Kein Land in Afrika südlich der Sahara ist so gering besiedelt wie Namibia. Wo immer wir anhalten sind wir von unendlich freiem Raum umgeben. Von rötlichem Sand, harten, goldgelben Wüstengräsern; von schroffen Felsformationen, die im Licht der untergehenden Sonne zu glühen beginnen; von einem grandiosen Himmel, der größer ist und weiter als anderswo. Wie schön, mal wieder in einer Wüste zu sein. Die Seele kommt zur Ruhe und der Geist kriegt wieder Luft. Das hat Folgen: Im Felsengewirr der sogenannten Spitzkoppe verbringen wir eine herrlich kühle Nacht - und treffen eine weitreichende Entscheidung: Wir stehen einsam im Schatten einer mächtigen Steinwand, ein Schakal beobachtet uns aus sicherer Entfernung, unten in der Ebene vereinzelt Impalas, ein Skorpion huscht eilig aus dem Lichtkegel unserer Benzinlampe davon. In deren Schein breiten wir Karten und Bücher auf unserem Tisch aus, studieren, debattieren, wägen ab - und am Ende ist es sonnenklar und wir wundern uns, dass wir uns erst jetzt zu dieser Entscheidung durchringen. Wir werden nicht, wie ursprünglich mal geplant, von Südafrika aus nach Australien verschiffen. Auch nicht nach Indien oder Südamerika. Wir werden die Reise in Afrika fortsetzen. Wir werden über Zentral- und Westafrika wieder Richtung Norden fahren. Wir haben das Gefühl, das Angefangene zu Ende bringen zu müssen. Sonst ist es so, als hätten wir nach der Hälfte eines spannenden Films Kinosaal A verlassen, um im Saal B die zweite Hälfte des nächsten Filmes zu sehen. Ich glaube fest daran, dass die Wüste um uns herum ihren Einfluss auf diese Entscheidung hat. Wo nicht viel mehr ist als ein paar Felsen auf weitem Land unter einem gewaltigen Himmelszelt, da werden Gedanken auch klarer, augenfälliger, einleuchtender. Magisches Wüstenland!

 

Damit ändert sich unsere Route durch Namibia. Den Norden – Etosha Pfanne, Bushmanland, , Ovamboland - sparen wir uns für einen späteren Zeitpunkt auf, wenn das Klima da oben reisefreundlicher ist, also nächstes Jahr im Juli. Jetzt fahren wir an die Küste und wollen uns dann mehr Zeit nehmen für den Süden des Landes und für Südafrika.

Gut gelaunt, als hätten wir uns von einer Last befreit, rollen wir am nächsten Morgen hinab an den Atlantik nach Swakopmund. Die Wüste versickert geradeswegs ins tobende Meer, regnen tut’s so gut wie nie, dafür bläst ein eisiger Wind das ganze Jahr über von Südwesten heran. Kein guter Ort zum Leben, möchte man meinen. Trotzdem haben deutsche Kolonisten hier 1893 ein erstaunliches Städtchen errichtet. Der Ort schien geeignet, um einen künstlichen Hafen anzulegen und das Landesinnere mit Gütern zu versorgen. 1915 kapitulierten die deutschen Truppen vor den Südafrikanern, der Güterfluss versiegte, der Hafen wurde geschlossen, und die Deutschen? Sie blieben! Sitzen in den Cafés, bummeln durch die Passagen, bedienen uns im Buchladen, schneiden mir die Haare. Deutschsprachige Schilder, wo man hinschaut: „Kaiser-Wilhelm-Straße“, „Hotel Deutsches Haus“, „Ankerplatz“, „Haus von Moltke“ …, irgendwie scheint hier die Zeit stehen geblieben zu sein. Immerhin: Im Juli 2009 änderte die Stadtverwaltung das Wappen von Swakopmund. Nach über 110 Jahren wurde die schwarz-weiß-rote deutsche Reichsflagge durch das Wappen Namibias ersetzt. Swakopmund fühlt sich an wie ein großes Museum, merkwürdig zeitlos, und es löst sich eigenartig formlos an seinen Rändern auf in Wüste und Meer.

 

Der Campingplatz mitten in der Stadt, in dem wir uns einrichten, ist mondän ausgestattet. Jeder Stellplatz hat sein eigenes Dusch- und Klohäuschen. Zuhause in München duschen wir in bescheideneren Platzverhältnissen. Aber was nimmt man nicht alles so mit auf solch einer Reise. Wir nutzen die Gelegenheit und machen mal wieder so richtig sauber in Mathilda. Wir waschen die Moskitonetze, der Klotank kriegt eine Tiefenreinigung, wir fegen alle Ritzen aus und befreien unsere Kabine vom Staub aus 16 verschiedenen Ländern. Ich glaube, jetzt wiegt unser Fahrzeug eine Tonne weniger. Wir spazieren Abends hinüber zum Fischrestaurant, das am Ende eines Steges weit draußen im Meer über einem rauen Atlantik thront. Dort genießen wir die fleischigsten Austern, die wir je serviert bekamen, danach eine Sushi Platte, die in Tokio durchgehen würde, dazu fabelhaften Sauvingon Blanc aus Südafrika und am Ende allerfeinsten Espresso. Ausgerechnet in Swakopmund fangen wir an, Namibia zu mögen.

Richtig verlieben ins Land tun wir uns einige Tage später. Über staubige Piste bewegen wir uns durch eine karge Namib Wüste Richtung Süden und erreichen bald das Sandland von Sossouvlei. Wie glänzender, faltiger, weicher Samt umhüllen gelbrote Dünen den ausgetrockneten Grund. Sie erheben sich aus dem kargen Boden 200 Meter hoch und mehr. Wir besteigen Düne 45 und bewegen uns auf schmalem Grat in einer magischen Welt. In der Ferne wachsen die blauschwarze Berge der Naukluft empor, ein Adler kreist über den geschwungenen Dünenkämmen, unten in der Ebene huschen Springböcke über steiniges Erdreich. Die Sonne küsst den Horizont, und weil der Himmel schüchtern ist, wird er rot (das stammt von Timmerberg, aber ich glaube, er war an diesem Ort, als er es geschrieben hat). Alles glüht: Sonne, Luft, Himmel, Dünen - und ich sag’s Euch: unsere Herzen tun es auch. So schön kann Wüste sein. So schön ist Namibia. So schön das Reisen. Was juckt uns da ein schlechtgelaunter Bure …?

 


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