Wir haben den Eindruck, als wolle Jordanien uns erstmal nicht so recht willkommen heißen: an der Grenze herrscht ein Tumult ganz nach orientalischer Sitte. Da stehen Massen koreanischer Kleinwagen vor Zoll- und Einreisebuden und alle sind sie gestopft bepackt mit Paketen voller Ware, an denen es in Jordanien entweder mangelt, oder die in Syrien wesentlich billiger zu bekommen sind: Lebensmittel, Windelpakete, Haushaltsgeräte etc türmen sich gewagt und meterhoch auf Autodächern ohne Träger. An den vergitterten Schalter des Zolls wimmelt es von schwitzenden, bärtigen Männer mit eigenwilligem Schuhgeschmack. Für uns herrscht da ein chaotisches Gedränge und Gezeter, für den Araber geordnete Verhältnisse.
Ein Grenzbeamte nimmt sich unserer an, schleust uns an der Menschentraube vorbei und führt uns ins kahle Büro. Hier geht's nicht minder anarchisch zu: schlecht gelaunte Grenzbeamte prügeln Stempel in Papiere und schmeißen sie achtlos durch's Gitter. Ein Vorgesetzter fordert einen der Uniformierten auf, sich um unsere Carnets zu kümmern und der gerät darüber so außer Rand und Band, dass er erstmal seinen Kaffeebecher und seinen Kugelschreiber an die Wand schleudert. Er brüllt cholerisch um sich, die anderen Beamten im Raum brüllen zurück, von draußen durch die Gitter brüllt die anschwellende Masse von Kleinwagenspediteure. Blicke werden uns entgegengeworfen, die die milde jordanische Luft in polare Frostigkeit abstürzen lassen und ... ist das ein Krummsäbel, den einer der Tobenden da gerade aus seinem Gewand zieht ...? Jedenfalls: uns überkommt der Verdacht, dass wir vielleicht einen ungünstigen Zeitpunkt für die Grenzüberquerung gewählt haben.
Zweieinhalb Stunden später rollen wir auf 4-spuriger Straßen über biblischen Boden. Gott zeigte Moses hier am Berg Nebo zum ersten mal sein gelobtes Land, das er dann niemals betreten hat. Jesus wurde am Jordan von Johannes dem Täufer getauft. Dessen Kopf bekam die tanzende Salome unweit der Stadt Madaba auf einem Teller serviert. In einigen abgelegenen Dörfern in Jordanien wird noch immer aramäisch gesprochen, die Sprache Jesus.
Wir aber haben erstmal profanes in Sinn, und das lockt uns nach Amman. Jordaniens Hauptstadt glänzt nicht mit alten Ruinen und geschichtsträchtigen Orten, dafür mit einem Carrefour vom Feinsten. Wir schlendern durch einen glitzernden Konsumpalast und können mal wieder nach Herzenslust unsere Reserven auffüllen. Lediglich die fehlende Weinabteilung verrät, dass wir auf blankgeputztem, muslimischem Linoleum flanieren.
Mit überquellenden Lebensmittelkisten im Bauch von Mathilda steuern wir Richtung Westen. Die Straße stürzt in wenigen Kilometern hinab von über 1000 Höhenmeter auf abgrundtiefe minus(!) 410. Wir stehen am Ufer des Toten Meeres, diesem einmaligen Cocktail aus Salz und Mineralien.
Das Wasser sieht klar aus. Und doch ist es anders. Ist es wirklich Wasser? Am Grund können wir Salzkristalle erkennen, spitze Kieselsteine. Auch den grauen Schlamm, für den die Region so bekannt ist. Vorsichtig gehen wir in die warme Salzlauge, beugen uns herab und lassen unsere Körper nach hinten weggleiten. Tatsächlich, es funktioniert: Wie auf einer Luftmatratze treiben wir schwerelos durch das Nass. Das Tote Meer markiert einen besonderen Punkt auf der Weltkarte: Kein Ort liegt tiefer. Kaum ein Seewasser ist salzhaltiger. Und es gibt noch etwas, das wir erahnen können, eher als spüren: Hier, so weit unterhalb des Meeresspiegels, scheint die Luft noch ein wenig dicker zu sein. Derart gedopt überkommt es uns und wir enden als Tagesgäste im schicksten Hotel am Ort, beanspruchen Pools und Duschen, italienische Küche, blitzblanke Klos und superschnelles Internet. Lediglich Milliarden lästiger Fliegen geben sich alle Mühe, uns den Spaß ein klein wenig zu vermiesen.
Zurück ins kahle Bergland. Auf der 5000 Jahre alten Königsstraße "Tariq al-Muluk" rollen wir weiter Richtung Süden. An Geröllwüsten und Olivenhainen, Nomadenzelten und Wüstenschlössern, Wadis und Steppen vorbei. Regionalwahlen stehen in Jordanien an. Der Wahlkampf ist in vollem Gange. Die Kandidaten nutzen jedes Verkehrschild und jeden Wegweiser als Trägerfläche für Ihre Wahlplakate. Feiste Gesichter grinsen auf den verwirrten Verkehrsteilnehmer herab, der vergeblich nach einem aufschlussreichen Richtungspfeil Ausschau hält.
Doch wir finden ihn, jenen Ort, von dem der Brite T. E. Lawrence, besser bekannt als "Lawrence von Arabien" Anfang des 20. Jahrhunderts schrieb, er sei der herrlichste auf der Welt: wir erreichen die alte Nabatäerstadt Petra.
Eine enge Schlucht, der so genannte Sik, windet sich 1200 Meter lang durch 100 Meter hohe Felswände. Diese scheinen immer mehr zusammenzu- rücken, so dass wir fast schon festzustecken glauben. Doch nach ein paar weiteren Windungen öffnet sich die Felsspalte und gibt die Sicht frei auf eine rötliche Fassade von gut 40 Metern Höhe und fast 30 Metern Breite. Wir stehen vor dem Schatzhaus der antiken Stadt, der wohl berühmtesten Sehenswürdigkeit Jordaniens. Geblendet von der plötzlichen Lichtfülle und der Schönheit der in den Stein gemeißelten Fassade halten wir staunend inne. Vor uns erhebt sich ein Kultur- und Naturwunder zugleich, das ästhetische Zusammengehen menschlicher Kunst mit den Kräften der Natur. Es lässt uns für kurze Zeit die Massen von Touristen um uns herum vergessen, die hier im Minutentakt von klimatisierten Bussen angekarrt werden. Die übrigen etwa 1000 Gebäude von Petra erstrecken sich dann aber über ein unüberschaubar großes Gebiet. Fernab des Schatzhauses verlieren sich da die Besuchermassen. Wir erklimmen über 2000 Jahre alte Steinstufen schwindelerregende Höhen, besichtigen Opferplätze, Gräber und Theater und sind uns nach 7 Stunden Besichtigungstour und kochender Füße einig: Petra ist das faszinierendste Ruinenfeld, dass wir im Laufe dieser Reise besichtigt haben.
Wir verlassen die Ruinenstadt nach 2 Tagen und erreichen in nur wenigen Stunden Fahrzeit eine Wüstenlandschaft in ihrer schönsten Form. Im Wadi Rum ist Schluss mir dem Komfort einer Teerstraße. Wir wühlen uns ab sofort durch weichsandige Pisten oder holprige Geröllfelder. Mathilda lässt sich davon nicht beeindrucken und pflügt ungerührt durch die Einsamkeit. Rechts und links steigen rote Felsformationen auf, das Landschaftserlebnis ist grandios. Als die Schatten länger werden, finden wir an einer Felseninsel, die wie ein Pickel aus der Einöde aufragt, einen windgeschützten Stellplatz für die Nacht. Wir besteigen bei Sonnenuntergang die Formation und schauen auf ein weites Land aus Sand und Steinen. Jetzt entfaltet die Wüste ihre Magie, jetzt leuchtet die Ebene, jetzt fangen Felsen Feuer und unsere Innenwelten tun es auch.
Heute sind wir in Aqaba, der südlichsten Stadt Jordaniens. Wir haben uns im ägyptischen Konsulat Visa besorgt, auf der Bank ein Bündel ägyptische Pfund eingetauscht und ein Fährticket übers Rote Meer ins Nachbarland haben wir auch in der Tasche. Wir erwarten eine schwierige, aufwändige Grenzabfertigung in Ägypten, die unsere Erlebnisse an der jordanischen Grenze in ein strahlendes Licht rücken werden. Ein heißer, staubiger Wüstenwind pfeift uns hier Tag und Nacht um die Ohren und lässt uns in Apathie abgleiten. Magenprobleme, die uns beide quälen, beschleunigen die Richtung dieses Trends. Mein Darm übt lediglich noch die Funktion eines Abflussrohes aus, das aber mit vollem Eifer. Bines Zustand ist etwas besser, doch auch sie flüstert mir gerade zu: "... heute wäre ich gern daheim!"
Doch eins nach dem anderen. Morgen geht's erstmal nach Afrika.