Manchmal geschehen merkwürdige Dinge in München: da wachen wir morgens auf, blicken aus dem Fenster hinaus und schauen verblüfft auf eine Stadt, die sich in ein geheimnisvolles Sepia hüllt. Ein Schleier liegt über Fenstersimse, Autos und Blätter wie auf einem vergilbten Foto. Meteorologen haben eine nüchterne Erklärung für dieses Phänomen:
Es ist Staub aus Afrika, der sich über die Stadt gelegt hat. Riesige Saharastürme verfrachten viele Millionen Tonnen Wüstenstaub einige Kilometer hoch in die Atmosphäre. Die größeren Teilchen fallen rasch wieder zu Boden, die kleineren können jedoch über weite Strecken mit den Luftströmungen transportiert werden. Je nach Windrichtung kann sich der Saharastaub dann über ganz Europa verteilen oder über den Atlantik bis nach Florida und Brasilien gelangen - und manchmal landet er in München.
Aber was wissen schon Meteorologen?
Für uns ist dieses Phänomen ein Lockruf aus Afrika, ein Pheronom, ein Botenstoff, der sich ungefragt an unser angeschwollenes Reisevirus andockt und verführerisch in unsere inneren Ohren flüstert: Wann endlich brecht Ihr auf? Wir treten auf die Straße, fahren mit der Hand über die Motorhaube und reiben ein Stück afrikanische Erde zwischen unseren Fingern; unser Blick verklärt sich, als hätte sich der Staub auf unsere Netzhaut gelegt, und ... nun ja ... am Ende geben wir klein bei.
In drei Wochen brechen wir zu unserer Afrikadurchquerung auf, der ersten Etappe unserer Weltreise. Sie wird uns über Italien nach Griechenland und die Türkei führen, dann durch Syrien, Jordanien hinein nach Ägypten. Sudan Äthiopien, Kenia ...; am Ende irgendwann Anfang 2012 erreichen wir Kapstadt, wenn es die Götter der Reisenden - Hermes, Merkur, Ganesha und wie sie alle heißen - gut mit uns meinen.
Afrika wird seit Jahrzehnten vor allem durch die Brille der Katastrophen- berichterstattung wahrgenommen. Es weckt wenig aufbauende Assoziationen. Armut, Bürgerrieg, Korruption, Piraterie, Genozid, Aids - alles Stichworte, an die nicht vorbeikommt, wer sich mit dem Kontinent auseinandersetzt. Selbst die WM in Südafrika konnte nur kurzfristig diese triste Liste außer Kraft setzen. Aber gleichzeitig weckt es irrationale Sehnsüchte. Afrika ist die Wiege der Menschheit. Zwischen seinen Savannen verbergen sich unsere Wurzeln. "Hier hat homo habilis die ersten Faustkeile gefertigt, und gelernt, das Feuer zu nutzen," schreibt der Reporter und Essayist Hans Christoph Buch, "doch die Wärmelehre und die Relativitätstheorie wurden anderswo formuliert, ebenso wie der kategorische Imperativ und die Menschenrechte. Dafür hat Afrika (...) Europäern wie Amerikanern etwas zurückgegeben, was diesen in der Hektik der Industrialisierung abhanden gekommen war: Spontane Lebensfreude, aber auch die Fähigkeit zu trauern, Leid und Tod nicht aus dem Bewusstsein zu verdrängen, sondern offensiv anzugehen um mit den Rhythmen des Universums synchron zu sein."
In den vergangenen zwei Jahren haben wir uns in die Lektüre vieler vermeintlicher und tatsächlicher Kenner des Kontinents hineingelesen: Kapuscinski, Grill, Scholl-Latour, Seitz und der bereits zitierte Hans Christoph Buch sind nur einige Autoren, deren Werke sich in unseren Regalen aneinanderreihen. Und trotz ihrer teilweise unterschiedlichen Analysen haben alle Bücher eines gemein: sie lesen sich wie die Apokalypse, um nach der letzten Seite das Verlangen, über afrikanischen Boden zu reisen, nur noch anzuheizen. Was ist das nur für ein Antagonismus, der von diesem Kontinent ausgeht? Worin liegt der Reiz darin, von Ägypten bis hinunter nach Südafrika in einem Lastwagen zu fahren? Die Aussicht, Löwen und Elefanten vor die Kamera zu kriegen, kann's ja wohl allein nicht sein.
Der senegalesische Dichter Léopold Sédar Senghor brachte das Lebensgefühl Afrikas auf die kurze Formel ich tanze, also bin ich. Ja nun, da haben wir doch einen guten Grund, aufzubrechen: lernen wir tanzen!
Bildergalerie
Auf einer Testfahrt mit Mathilda durch Marokko rückten wir im vergangenen Jahr dem Kontinent schon mal ein bischen auf die Pelle ...